NahrungsergänzungsmittelNahrungsergänzungsmittel Nahrungsergänzungsmittel werden den Lebensmitteln zugeordnet und sind abgegrenzt von Medikamenten zu betrachten. So dürfen sie, wie der Name schon sagt, die normale Ernährung ergänzen, sie jedoch nicht ersetzen und zudem keine arzneiliche Wirkung zeigen. Sie werden als Kapseln, Tabletten, Tropfen oder Ähnliches angeboten und enthalten oft Vitamine, Mineralstoffe oder sonstige Nährstoffe, die eine Wirkung erzielen sollen. Sie dürfen jedoch nicht wie ein Arzneimittel beworben werden. Die Hersteller dürfen keine spezifische Wirkung wie die Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit anpreisen oder für ein definiertes Anwendungsgebiet werben. sind lebenswichtig und ihre Wirkung belegt. Das erklären zumindest Influencer, die zur häufigen Einnahme in unzähligen Bereichen für den Hersteller „More Nutrition” werben. Doch wer genauer hinsieht, stößt auf geschicktes Studien-Picking, das den Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln vorantreibt. Die Kommunikation ist irreführend und das Marketing rechtswidrig. Das Team von MedWatch hat mit den WDR Quarks Science Cops recherchiert.
„Ich habe meine Supplements gestern vergessen. Ihr habt mich dran erinnert, sehr gut”, sagt Antonia Zimmermann in ihre Handykamera und schraubt die weißen Dosen vor sich auf. Für die 819.000 Menschen, die ihr bei Instagram folgen, ist sie „Toni”. Sie teilt Sportübungen und Rezepte. Brownies, Klöße, Wraps – alles inklusive der Produkte ihres Verlobten Christian Wolf, der auch Influencer ist sowie Gründer der Marke „More Nutrition”. Deren Produkte gibt es hauptsächlich im Online-Shop: Zuckerersatz, Light- und Proteinprodukte und eben Nahrungsergänzungsmittel.
Wie ein Leben mit diesen Produkten aussieht, zeigen Influencer:innen bei Social Media. „Das ist so eine geile Routine. Wehe, ihr nehmt die jetzt nicht auch alle”, sagt Toni und schmeißt sich eine Handvoll Kapseln in den Mund. Influencerin Nadine Wolf schreibt ihren Follower:innen scherzhaft: „Mir macht’s auch keinen Spaß, aber muss sein.” Also sind Nahrungsergänzungsmittel Pflicht für einen gesunden Lifestyle?
More Nutrition verspricht Nahrungsergänzungsmittel, die „sinnvoll und evidenzbasiert” sind. Denn sie würden von einem Board aus zehn internen und externen Expert:innen entwickelt, darunter Ernährungs- und Sportwissenschaftler:innen sowie Ärzt:innen. Die Botschaft von More Nutrition: Es gibt wissenschaftliche Gründe, dass jede:r Nahrungsergänzungsmittel nehmen sollte. Das prüft MedWatch.
Wie gut ist More Nutrition?
Nahrungsergänzungsmittel sind laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nur für gesunde Verbraucher bestimmt, die Ihre Nahrung ergänzen möchten, oder für Menschen, die einen bewiesenen Nährstoffmangel haben. Nahrungsergänzungsmittel sind nicht dazu da, Krankheiten oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhindern. Definitionsgemäß dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht pharmakologisch wirken.
Marktzugang | Versprechen | Dosierung | |
ArzneimittelArzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die angewandt werden, um Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder Beschwerden zu heilen, zu lindern oder zu verhüten. Es kann sich hierbei ebenfalls um Mittel handeln, die dafür sorgen, dass Krankheiten oder Beschwerden gar nicht erst auftreten. Die Definition beinhaltet ebenso Substanzen, die der Diagnose einer Krankheit nutzen oder seelische Zustände beeinflussen. Die Mittel können dabei im Körper oder auch am Körper wirken. Das gilt sowohl für die Anwendung beim Menschen als auch beim Tier. Die gesetzliche Definition von Arzneimitteln ist im § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) enthalten. | Europäischer Arzneimittelbehörde, mit klinischen Studien | beugen Krankheiten vor, lindern oder heilen sie | exakt festgelegt |
Nahrungs- ergänzungsmittel | Anzeige bei Lebensmittelbehörde, ohne Studien | wirken nicht pharmakologisch | kein Limit, darf 50% von Packungsangabe abweichen |
MedizinprodukteMedizinprodukte Medizinprodukte sind z.B. Implantate, Katheder, Infusionen, Herzschrittmacher und Co. Sie definieren sich durch eine vom jeweiligen Hersteller bestimmte medizinische Zweckbestimmung für die Anwendung beim Menschen. Anders als bei Arzneimitteln entfaltet sich ihre Hauptwirkung auf physikalische Weise. Verschiedenste Vorgaben regeln das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Medizinprodukten. Dadurch soll für die Sicherheit und Eignung der Medizinprodukte gesorgt werden. Es geht hierbei zudem um den Schutz von Patienten, Anwendern und Dritter. | CE-Kennzeichnung, mit klinischer Bewertung | wirken physikalisch (Beispiel: Beinschiene) | _ |
Firmengründer Christian Wolf wirbt dafür, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, wenn man zum Beispiel Beschwerden während der Periode hat, ArthroseArthrose Degenerative Gelenkerkrankung, bei welcher der Knorpel an den Gelenken verschleißt. Verursacht wird der Gelenkverschleiß durch Alter, Über- oder auch Fehlbelastungen oder Verletzungen. Manches Mal sind auch Stoffwechselerkrankungen ursächlich. Bewegung und Schmerztherapie können in vielen Fällen helfen eine OP zu vermeiden; eine Heilung gibt es jedoch nicht. Oft sind Knie, Hüfte, Schultern, Hände und Finger sowie die Füße betroffen. oder Schlafstörungen. Auf seinem Instagram-Profil erklärt er, wie die Supplemente von More Nutrition dagegen helfen sollen – am besten durch Kombination mehrerer Produkte.
Und alle Nahrungsergänzungsmittel von More Nutrition sind sogar „ohne Nebenwirkungen“. Das ist zwar leicht zu behaupten, denn Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln müssen – anders als Arzneimittelhersteller – Nebenwirkungen nicht in einem strukturierten Prozess erfassen. Aber stimmt es denn? Wir fragen uns: Kann es sein, dass die Produkte von More Nutrition wirksam sind? Dann aber inklusive möglicher Nebenwirkungen. Oder wirken sie gar nicht wie beworben? Wir sehen uns ein Beispiel genauer an.
Kann More Nutrition Arthrose heilen?
Im August 2022 beginnt Christian Wolf eine Werbung bei Instagram so: 70 Prozent seiner Follower hätten abgestimmt, jemanden zu kennen, der oder die an Arthrose leidet. „Daher machen wir das mit der Arthrose heute mal ausführlicher.”
Bei Arthrose – soweit das evidenzbasierte Wissen – nutzen sich Gelenkknorpel ab, Patienten klagen über Schmerzen und steife Gelenke. Später entzünden sie sich, aus Bewegungsschmerz wird Dauerschmerz. Was hilft: eventuell abzunehmen, Bewegungsübungen zu machen oder entzündungshemmende Arzneimittel zu nehmen. Das lindert die Symptome, aber heilt die Erkrankung nicht. Häufig müssen die Gelenke operativ durch Prothesen ersetzt werden.
Viele Hersteller bewerben Nahrungsergänzungsmittel gegen Arthrose, ohne dass die Wirksamkeit ihrer Produkte belegt wäre. So auch das Autoren-Duo Liebscher & Bracht. Erst nach einer Abmahnung haben sie im Frühling 2022 unterschrieben, dies zu unterlassen. Christian Wolf wirbt weiter. More Nutrition bringt im August 2022 ein ganz neues Produkt auf den Markt: Arthro Support. Das soll anhand vier enthaltener Inhaltsstoffe die Ursache der Arthrose bekämpfen können.
Studien zu More Nutrition
Diese enthaltenen angeblichen Wundermittel: die Kollagen-Präparate FortigelⓇ und UC-II sowie die stickstoffhaltigen Zucker Chondroitin und Glucosamin. In seiner Instagram-Werbung verweist Christian Wolf auf Studien, auf die wir gleich genauer eingehen. Interessant ist: Die Autor:innen der Studien kommen zu anderen Schlussfolgerungen als er.
Zu UC-II zitiert Wolf eine Studie mit 164 Teilnehmenden, die alle Arthrose hatten1https://nutritionj.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12937-016-0130-8. Es deutete sich in der Studie zwar an, dass ihre Symptome mit UC-II im Vergleich zu Placebo weniger schlimm waren, aber der Unterschied war nicht so groß, als dass man ihn als Patient bemerken würde.
FortigelⓇ testeten Forschende in Freiburg gegen Placebo. An der Studie, auf die sich Wolf bezieht, nahmen 180 gesunde Proband:innen teil. Es wurde beobachtet, ob sie Schmerzen beim Sport hatten. Gegen leichte Schmerzen beim Training schien FortigelⓇ besser zu wirken als ein Placebo, aber nicht bei stärkeren Schmerzen. Und weil alle Teilnehmenden gesund waren, lässt sich aus der Studie „nicht ableiten, dass das Präparat auch bei Kniearthrose wirksam ist“, sagt Martin Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin in Lübeck.
Eine Frage der Ethik
Auch für die Wirkung von Chondroitin und Glucosamin gibt es widersprüchliche Hinweise. Wolf bezieht sich bei diesen Stoffen darauf, dass die Plattform Examine.com „die wissenschaftliche Power im Arthro Support“ bestätigt habe. Examine.com ist ein Online-Nachschlagewerk für evidenzbasiertes Wissen zu Nahrungsergänzungsmitteln. Auf Anfrage bezieht sich More Nutrition auf einen Artikel, in dem Chondroitin und Glucosamin als „Primary Options“ beschrieben werden. Der Text ist für Hersteller zu lesen. Er liegt hinter einer Bezahlschranke. In den Ausschnitten, die die Sprecherin von More Nutrition mitschickt, ist beschrieben, dass die zwei Stoffe positive Effekte zeigen können, aber nicht für alle und nur „im richtigen Kontext – hier Gelenkgesundheit.” Die Ergebnisse beziehen sich also auf Untersuchungen an gesunden Gelenken. Öffentlich lesbar ist ein Fazit auf Examine.com: Der wissenschaftliche Konsens sei unsicher, da sich Chondroitin und Glucosamin nicht von einer Placebo-Behandlung zu unterscheiden scheinen.
Das ist so eine geile Routine. Wehe, ihr nehmt die jetzt nicht auch alle.
Antonie Zimmermann
Trotzdem sind die beiden Stoffe laut Philipp Niemeyer „die am besten erforschten Nahrungsergänzungsmittel bei Kniearthrose”. Er ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und Experte der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). „Die Studienergebnisse deuten an, dass sie zwar die Symptome, nicht aber den Krankheitsverlauf beeinflussen können. Die Effekte sind aber schwach ausgeprägt. Weil die Präparate nicht von der Krankenkasse erstattet werden, muss man mit dem Patienten offen über die Sinnhaftigkeit einer Einnahme sprechen.” Ernährungsmediziner Smollich zieht das Fazit: „Die Evidenzlage der enthaltenen Stoffe ist bestenfalls widersprüchlich.“
Aber wirkt eventuell die Kombination dieser Stoffe? Das wurde niemals an Patient:innen untersucht. Martin Smollich erklärt, wie sich das ändern ließe: „Wer davon überzeugt ist, dass sein Kombinationspräparat wirksam ist, könnte es in einer einfachen klinischen Studie gegen Placebo testen. Viele Universitäten stehen als Kooperationspartner bereit.”
Welche Aussagen sind erlaubt?
Christian Wolf erklärt auf Instagram ohne wissenschaftlichen Beweis, dass Arthro Support wirkt: „Wenn ihr Probleme habt mit Schmerzen, mit Arthrose… oder eure Großeltern… Dann auf jeden Fall Arthro Support.” Und auf der Verpackung des Nahrungsergänzungsmittels lesen Kunden: „Unterstützt nachweislich die Funktion von Gelenkknorpeln”. Warum darf More Nutrition das auf die Packung schreiben? Solche Aussagen lässt die Europäische Behörde für LebensmittelsicherheitLebensmittelsicherheit Lebensmittelsicherheit ist ein komplexer Bereich. Es wird zwischen sog. horizontalen und vertikalen Bestimmungen unterschieden. Ersteres bedient Bestimmungen für die Lebensmittelkennzeichnung, für Zusatzstoffe in Lebensmitteln sowie für Rückstände in Lebensmitteln. Vertikale Bestimmungen beziehen sich auf Nahrungsergänzungsmittel, Milch, Eier, Fisch, Fruchtsäfte und vieles mehr. Auch für kosmetische Produkte wie z.B. Zahncreme, Shampoo, Nagellack sowie Bedarfsgegenstände (Spielzeug, Geschirr, Schuhe, Textilien, Modeschmuck…) gilt das Lebensmittelrecht. Zusatzstoffe und neuartige Lebensmittel müssen zugelassen sein, schädliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind verboten. Kennzeichnungen müssen erkennbar machen, ob zum Beispiel Allergene enthalten sind. zu. Aber nur, wenn sie wahr sind, also wenn es genügend wissenschaftliche Beweise dafür gibt. Bei Vitamin C und Knorpelbildung gibt es die, deshalb ist der „Health Claim” zugelassen. Mit den anderen Inhaltsstoffen aus Arthro Support hat die Aussage nichts zu tun. Deshalb dürfte die Aussage auf der Verpackung eigentlich nicht auf das gesamte Produkt bezogen werden.
Health Claims sind gesundheitsbezogene Aussagen, die auf Nahrungsergänzungsmitteln stehen. Sie müssen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zugelassen werden, damit keine Werbesprüche auf der Verpackung landen, die verwirrend sind oder falsche Versprechen machen. Trotzdem sind auch zugelassene Health Claims manchmal irritierend. „Trägt zur normalen Gelenkfunktion bei” bedeutet nicht automatisch, dass Gelenkbeschwerden durch ein Nahrungsergänzungsmittel verschwinden.
Beim Thema Werbesprüche geht Christian Wolf aber noch weiter. Er erklärt seiner Community, Arthro Support sei eigentlich schon ein Medizinprodukt, „weil es spezifisch auf ein Problem ist, und dann mit geilen Wirkstoffen.“ Das ist falsch. Die Nahrungsergänzungsmittel von More Nutrition sind nicht als Medizinprodukte zertifiziert. Dafür müssten Sicherheit und Nutzen des Produktes bewertet werden.
Wofür More Nutrition?
Selbst wenn Arthro Support nicht so sinnvoll ist wie versprochen, schadet es nicht, es zu nehmen, oder? Gesunde Menschen werden keinen direkten Schaden nehmen, wenn sie es einnehmen. Davon geht Ernährungsmediziner Martin Smollich aus. Ein Schaden sei höchstens beim Geldbeutel zu erwarten. „Aber bei Erkrankten besteht eine indirekte Gesundheitsgefahr. Sie können denken, sie hätten hier ein wirksames Präparat – und verzichten so auf Therapien, deren Nutzen nachgewiesen ist.“
Angela Clausen, Ernährungswissenschaftlerin und Referentin der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, sagt: „Nahrungsergänzungsmittel sollten nur nach ärztlicher Rücksprache eingenommen werden. Denn nehmen Patient:innen zusätzlich Arzneimittel ein, könnten Wechselwirkungen auftreten, die die Wirkung der Medikamente verstärken oder blockieren. Und: „Durch die Empfehlung, mehrere Supplemente einzunehmen, steigt die Gefahr für Nebenwirkungen“.
Probleme könne die Community jederzeit über den Kundensupport melden, schreibt uns More Nutrition. „Jedes Anliegen wird 100% ernst genommen.“ Auch beim Paul-Ehrlich-Institut oder in Apotheken können Schäden gemeldet werden. Rechtlich etwas gegen Hersteller wie More Nutrition anzubringen, ist aber schwierig. „Wie soll ein Verbraucher nachweisen, dass sein Schaden auf das Nahrungsergänzungsmittel zurückzuführen ist?”, fragt Angela Clausen. Die Firmen können ein Gegengutachten in Auftrag geben, was sich nur die wenigsten Verbraucher:innen leisten können.
More Nutrition gehört wie unter anderem die Fitnessmarke ESN zur Gruppe „The Quality Group GmbH“ mit Sitz in Elmshorn bei Hamburg. Benjamin Burkhardt (ESN) und Christian Wolf (More Nutrition) sind die Gründer der Gruppe. Sie beschäftigen rund 400 Mitarbeitende und haben Partnerschaften mit rund 300 Influencer:innen. In den vergangenen drei Jahren hat die Gruppe ihren Umsatz mehr als verdreifacht, im März 2022 auf rund 250 Millionen Euro. „Capital Partners Fund“ hat Mehrheitsanteile der Gruppe gekauft und will ihr mittelfristig auf den internationalen Markt helfen.
Community: Empfehlungen der digitalen Clique
Mehr als 500.000 Kund:innen hatte More Nutrition laut eigenen Angaben 2021. Und die Marke wächst weiter. In ersten Supermärkten sind die Produkte zu finden. Die Werbung läuft hauptsächlich über Influencer:innen, mittlerweile über reichweitenstarke Influencer wie Rezo oder Stefano Zarella.
Dass viele die Produkte kaufen, obwohl nicht klar belegt ist, dass sie wirken, wundert Laura Maria Altendorfer nicht. Sie ist Professorin für Journalismus an der IU Internationale Hochschule und beschäftigt sich mit digitaler Kommunikation. „Wenn ich Gummibärchen kaufe und da steht drauf: Da sind ganz viele Vitamine drin“, sei natürlich klar, dass sie nicht gesund sind. Aber „in der Influencer-Welt sind andere Mechanismen dahinter, die viel individueller sind oder persönlicher.“ Influencer:innen seien oft „the girl next door“. „Das ist eine Person wie du und ich. Das ist dieses Phänomen, das uns reizt. „Wir vergleichen uns.“ Soziale Vergleichsprozesse sind in der Psychologie bekannt.
Wenn man der Person folgt, greift das nächste Phänomen: Parasoziale Beziehungen. „Wenn ich jemanden regelmäßig in den Medien sehe, habe ich das Gefühl, die Person irgendwie zu kennen.“ Je persönlicher der Austausch, desto enger die Bindung. „Das ist das Prinzip von Freundschaft: Vertrauen.“ Die Influencer-Person wird scheinbar zur Freundin und die Community zur digitalen Clique.
In diesem Rahmen wirken Erfahrungsberichte besonders überzeugend. Da ist egal, dass es zum Beispiel zu Nahrungsergänzungsmitteln keine Beweise gibt, ob sie gesunde Menschen wirklich gesund halten. „Wir nehmen an, wenn der Influencer sowas macht – wenn der Pillen schluckt – dass er das wirklich für sich und seine Gesundheit macht.“ Gerade Influencer:innen aus dem Fitnessbereich haben eine starke Bildsprache, erklärt Altendorfer. Sie sehen gut aus, trainiert und gesund. Wenn sie dann Kapseln nehmen, „ist natürlich eine Schlussfolgerung: Wenn ich die auch nehme, kann ich auch so werden.“
Wer kontrolliert More Nutrition?
„Influencer-Marketing ist ein Stück weit Manipulation“, sagt Laura Maria Altendorfer. Darf More Nutrition so für Nahrungsergänzungsmittel werben? Wer kontrolliert die Marke? Für die Kontrolle der Nahrungsergänzungsmittel ist die Lebensmittelüberwachungsbehörde in Hamburg zuständig. „Allerdings ist die Firma uns nicht bekannt, da sie nicht als Lebensmittelunternehmen registriert und auch nicht im Gewerberegister erfasst ist“, schreibt sie auf Anfrage. Darauf angesprochen schreibt uns eine Sprecherin von More Nutrition, dass die Quality First GmbH „selbstverständlich als Lebensmittelunternehmen registriert und im Gewerberegister (Amtsgericht Hamburg, HRB 174145) erfasst ist.“
Die zitierte Registernummer bezieht sich jedoch auf ein Handelsregister (bei Gericht geführt), nicht auf ein Gewerberegister (bei Kommune geführt). Ist die Firma also nicht bei der Kommune gemeldet? Das wäre eine Ordnungswidrigkeit. Die Stadt Hamburg müsste dann ein Bußgeldverfahren gegen More Nutrition eröffnen. „Wir werden entsprechende Ermittlungen einleiten”, heißt es aus Hamburg.
Und wer kontrolliert die Werbung von More Nutrition, die hauptsächlich über Social Media läuft? Verbraucherschützerin Angela Clausen sagt: „Überwachungsbehörden haben derzeit für Werbung auf sozialen Medien keinen richtigen Zugriff.“ Keine Behörde fühle sich richtig zuständig. Die Landesmedienanstalten müssen werberechtliche Verstöße auf sozialen Medien verfolgen, aber nicht Verstöße gegen das Lebensmittelrecht, erfahren wir auf Anfrage. Und noch nicht einmal More Nutrition selbst fühlt sich verantwortlich. Auf Anfrage heißt es: „Unsere Influencer sind selbstständig und frei in der Content-Erstellung. Sie bekommen keine Vorgaben. Bei Fragen von Influencern steht unser Expertenboard beratend zur Verfügung.“ Auch Christian Wolf ist nur Influencer bei More Nutrition und Gründer, aber kein Geschäftsführer. Das Unternehmen More Nutrition für seine Werbeaussagen rechtlich zu belangen, ist schwierig.
Als Nächstes plant er mit More Nutrition, eine eigene Praxis zu eröffnen, in der „moderne Ärzte“ Blutwerte analysieren. Hausärzte würden sich leider zu oft nicht mit Ernährungsmedizin, Blutbildern und Nährstoffen auskennen. „More Medical“ soll seine Praxis heißen.
Redaktion: Nicola Kuhrt, Arne Weinberg, Nicole Hagen
- 1https://nutritionj.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12937-016-0130-8